„Heute wird getötet!“ Timo tritt in unser Ferienhaus, während ich noch im Hochbett liege und versuche wach zu werden. Nach unserem gestrigen, verregneten Segeltörn hatte ich mir meinem Körper absolute Ruhe verschrieben, um die Erkältung loszuwerden. Mit Erfolg, es geht mir wirklich etwas besser. Alles andere hätte ich auch einfach nicht akzeptiert, denn heute ist unser letzter Tag in Norwegen. Ich stehe auf, ziehe mir schnell was über und gehe zu den anderen in die Küche. Leicht irritiert sehe ich das kleine Messer in Timos Hand. „Ist zum Ausnehmen“, erklärt er und weist auf das Boot, das draußen am Anlegeplatz für uns bereit steht. Die heutige Challenge lautet: Am Fjord zu angeln, zu töten und auszunehmen.
Rein in´s Boot – raus auf den Fjord
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Unser motorisiertes Boot ist am Steg neben einem typisch rotem, norwegischen Häuschen angebunden. Der Tag war wie so oft in dieser Woche hell und freundlich, die Sonne lässt das Wasser glitzern und weckt das Dorf Stongfjorden mit ihren noch warmen Strahlen. Ich laufe zum roten Häuschen und schaue hinein. Bei den dort hängenden Rettungswesten pflücke ich mir eine passende heraus, ziehe sie mir über und trete auf den Steg. Die Wellen lassen ihn verträumt vor sich hin wiegen, was mich an die Hängebrücken an Spielplätzen in meiner Kindheit erinnert. Ich liebte es schon damals, darauf herumzuspringen und kann es auch jetzt nicht sein lassen – zum Leidwesen der Mitanwesenden. Fängt schon gut an 🙂 Wir packen uns ins Boot und Timo wirft den Motor an. Dann geht es auch schon raus auf´s Wasser.
Kurze Zeit später wird der Motor abgestellt. Jetzt ist Angelkunde dran: Wir haben vier Angeln dabei: zwei normale Angelruten zum Auswerfen und zwei Handangeln, an der mehrere Haken und Köder aus Plastik für die Fische dran sind.
Auch ich erhalte eine Handangel und Timo zeigt, wie man sie verwendet. Im Grunde ist es sehr einfach: Die Angel wird bis zum Bodengrund hinabgelassen und dann bei langsam fahrenden Boot, etwas ruckweise nach oben gekurbelt. Es erinnert mich ein wenig wie das Spiel mit meinem Kater mit der Katzenangel – und ich muss schmunzeln.
In meinem Leben habe ich noch nie einen Fisch an der Angel und so auch diesmal: nicht einer hat angebissen. Dafür zappelt es auf der gegenüberliegenden Bootsseite: Simone hat gleich zwei! Jetzt geht es ganz schnell: die beiden Makrelen werden ins Boot geholt. Timo umfasst einen fest mit der linken Hand, in der rechten hält er seinen Todschläger – und schlägt zu.
Blut, überall Blut!
Dann zieht der Film langsam vorüber: ich sehe dem Fisch in die Augen, sehe wie er kämpft, sehe wie sein Mund sich öffnet und schließt. Plötzlich greift und schüttelt es mich, er leidet Qualen und es dauert lange bis er sich nicht mehr bewegt. Und dann sehe ich all das Blut. Der Boden ist übersät von Blutsspritzern. Mir war nicht klar, dass Fische so bluten können. Mir wird ganz anders. Ich kann hier nicht mehr weiter machen.
Eine Glaubensfrage oder etwas ganz Natürliches?
Seit über einem Jahr ernähre ich mich weitestgehend vegetarisch, bis auf Fisch, den ich gelegentlich esse. Für mich ist dieser Wandel – weg vom Fleischfresser – eine Frage des Glaubens, da ich Tierleid nicht akzeptiere und für mich entschieden habe, die Ernährung zu ändern. Der Schritt, ohne Fleisch zu leben, fiel mir nicht leicht und ich beschloss daher, Schritt für Schritt vorzugehen und zunächst Schwein, Kuh und Huhn vom Teller zu verbannen. Nun, da ist immer noch der Fisch, der natürlich ein Tier wie alle anderen ist und nun zwei davon tot im Eimer unseres Bootes liegen. Meine Gedanken beginnen zu kreisen.
„Wir angeln nur, was wir auch wirklich später essen wollen“, hatte uns Timo vorneweg erklärt. Es wird kein Fisch zu viel aus dem Fjord geholt, das ist Bedingung an diesem Tag.
Was stellst du dich so an?
Ich hatte keine Ahnung, wie groß die Herausforderung für mich heute sein würde. Ich meine, hey: angeln! Da schippert man lustig auf dem Wasser herum, lässt die Seele baumeln und erhofft sich einen schönen, großen Fisch. Vor dem geistigen Auge ziehen Bilder stolzer Angler mit riesigen Fischen auf dem Arm vorüber. Touristiker werben mit tollen Angelgebieten und locken Touristen aus aller Welt zu sich. Warum fühlt es sich so falsch an, wenn es alle machen? Ich lenke mich ab und darf das Motorboot steuern.
Während ich meinen inneren Glaubenskrieg führe, beobachte ich die Crew nicht ohne Bewunderung: einer nach dem anderen holt eine Makrele heraus, sogar ein Seelachs ist darunter. Sie angeln und sie töten ihre Beute – und ja, es kostet sie Überwindung. Ich resigniere, sehe aber auch, dass diese Art zu essen, indem man jagt, tötet und ausnimmt, die natürlichste überhaupt ist. Und so radikal es sich auch anhört: wer Fleisch und Fisch isst, sollte das können oder zumindest ertragen! Der Theorie zum Trotz und ich bekenne: ja, ich esse Fisch und kann genau das nicht: töten. Ich fühle mich elend. Ich versage auf der ganzen Linie und dafür gibt es keine Entschuldigung.
Es macht wirklich Spaß, das Motorboot zu fahren und ich lenke mich damit ab, auch indem ich die Crew an ihre gewünschten Anglerplätze kutschiere. Mit dem Wind im Gesicht genieße ich den Fjord und seine Berge drumherum sehr. Für mich ist das Angeln hiermit abgeschlossen und auch bald für die Crew: Immerhin 11 Makrelen und einen Seelachs haben wir nun im Eimer und fahren zurück zum Anlegeplatz neben unserem Ferienhäuschen.
Jetzt zückt Timo das Messer und nimmt sich den ersten Fisch vor. Der Anblick ist gewohnt, denn so einen toten Fisch sieht man ja öfter mal beim Kochen. Gekonnt setzt Timo das Messer an und nimmt die Innereien des Fisches heraus. Anschließend filetiert er ihn und bemängelt, dass dadurch wenig vom eigentlichen Fisch übrig bleibt. „Lass ihn doch wie er ist und wir trennen das Fleisch von den Gräten beim Essen“ höre ich mich sagen. Die Köchin mal wieder. Gesagt, getan – dann kommt jeder dran mit Ausnehmen – außer mir.
Ein letzter Abend in Norwegen
Ich stehe in der Küche und bereite mit Simone die Kartoffeln für den Kartoffelsalat vor. Mit den restlichen Zutaten der Woche wird ein Ziebeldressing mit Zitrone und karamellisiertem Zucker gezaubert. Lecker. Ich trage ihn hinaus, gehe die Treppe des Ferienhauses hinunter und laufe neben das Häuschen zu unserem Grill- und Essplatz. Kritisch betrachte ich die Bemühungen der Jungs, die Kohlen des Grills in Gang zu kriegen. „Das funktioniert so nicht“, klugschlaumeiere ich „ihr müsst unter den Kohlen leicht brennbares Material stapeln und so anordnen, dass darunter noch gut Luft dran kommt.“ Keine Antwort abwartend erblicke ich ein paar trockene Äste, schüre sie unter die Kohlen und siehe da: Es brennt und ergibt alsbald eine schöne, heiße Glut. Fall erledigt.
Wir decken den Tisch: Teller, Gläser, Simones wunderbarste Tomatenbutter, einen grünen Salat und den mit Kartoffeln werden angerichtet. Dann legt Rene die ersten Fische auf den Grill und wir warten gespannt. Und was soll ich sagen: sie sehen gegrillt wirklich sehr lecker aus – doch irgendwie mag ich trotzdem keinen so recht essen. Und dann bleiben doch noch zwei Fische übrig…
„Bitte iss einen, sonst müssen wir sie wegschmeißen.“ Timo trifft einen wunden Punkt bei mir: Wenn ich eins wirklich hasse, dann, wenn Essen weggeschmissen wird. Dazu zählt auch Fleisch – gerade Fleisch. Ich will nicht, dass ein Tier, wenn es schon sterben musste, dann auch noch ehrenlos im Müll endet…
Am nächsten Tag: Abschied
Ray der Skipper hatte uns uns netterweise gestern beim Grillen besucht und sich verabschiedet. Nun ist es für uns alle heute soweit. Da wir fast geschlossen im selben Flieger nach Kopenhagen sind, müssen wir alle zeitgleich am Flugplatz in Bergen sein. Wir nehmen uns genügend Zeit, immerhin weiß man nie, welche Schafherde den Weg versperrt oder ob die Fähre nicht gerade ohne uns abgelegt ist. Doch wir kommen wunderbar durch. Dann geht alles sehr schnell: Wir drücken Timo und Simona, die als einzige einen anderen Flug hat und düsen zur Kontrolle. Jetzt noch schnell sein Klimpergeld in Süßkram eintauschen und ehe wir uns versehen, sitzen wir auch schon im Flieger – in Gedanken, die Erlebnisse der letzten Abenteuer in Norwegen.
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- Biken: Inselhopping von Stongfjorden nach Askvoll, über Vaerlandet nach Bulandet und wieder zurück
- Kajak fahren am Fjord mit einer tollen Überraschung
- 2-Tages Wanderung durch die norwegische Wildnis
- Segeltörn am Fjord bei typisch norwegischem Regenwetter
- Angeln in Stongforden mit anschließender Abschiedsparty
Worum geht es bei der Fjordchallenge?
Timo Peters aka bruderleichtfuss.com hat uns für eine Woche zu sich nach Norwegen, in das beschauliche Städtchen Stongfjorden eingeladen. Fünf Abenteurer, die sich vorher nicht kannten, nahmen die Einladung an und besuchten ihn vom 19. bis 26. August 2016. Täglich wurde eine andere Outdoor-Aktivität unternommen, was uns einen vielfältigen Einblick in die norwegische Natur bescherte. Lest hier die Ankündigung zur Fjordchallenge.
Hey Bianca,
trotz, dass ich schon sehr oft in Deutschland und Norwegen geangelt habe, treffen deine Gedanken zu dem Thema bei mir voll ins Schwarze. Wer etwas ehemals lebendiges essen will, muss es eigentlich auch töten können, oder mindestens sich damit auseinander setzen. Das Schlachten der Fische fällt mir bis heute auch kaum leichter als bei den ersten Malen. Schade, dass die von Dir beschriebenen Makrelen so lang leiden mussten. Normalerweise sind sie nach einem richtig kräftigen Schlag bewusstlos, bevor man sie mit gezeieltem Herzstich ausbluten lässt. Das Zappeln das später noch auftritt (übrigens auch oft wenn der Kopf schon abgetrennt ist), bedeutet nicht, dass der Fisch noch lebt.
Ich hoffe, du konntest mittlerweile wieder mit Genuss einen Fisch essen, denn bei fairerem Umgang mit ihnen ist der Verzehr aus meiner Sicht zu verantworten.
Schön, dass du das Ganze ausprobiert hast und sehr ehrlich darüber schreibst.
Liebe Grüße,
Hagen
Hallo Hagen,
ich würde das Töten heute sicher anders machen aber bin weiterhin überzeugt, dass diese Art – jagen, töten, essen – die natürlichste aller ist. Ich habe seitdem wieder Fisch gegessen, doch wird es immer weniger – was aber hauptsächlich daran liegt, weil ich nicht mehr angeln war und auf Supermarktfisch angewiesen bin.
Danke für Deine Gedanken!
LG, Bianca